22 Sep 2009 20:24
Ich hab vor kurzem schon gesagt, dass meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, an der aktuellen Politik etwas zu ändern, ist, eine kleine Partei zu wählen.
Allerdings höre ich mindestens genauso oft wie die Nichtwählerargument den Einwand, dass man diese und jene Partei ja nicht wählen könne, weil sie ihr Prinzipien verraten hätten. „Diese und jene“ sind dabei vor allem die Grünen, da sie nunmal in der Regierungskoalition waren.
Das Hauptziel einer jeden Partei ist erst einmal, zu regieren.
Darum geht es in der Politik, der Rest ist zweitrangig.
Um regieren zu können, muss sie eine Koalition mit einer anderen Partei eingehen*. Üblicherweise funktioniert das, wenn man Gemeinsamkeiten findet, vor allem aber, indem man ein paar Wahlversprechen (die ich eher „Vorhaben“ nennen würde) fallen lässt und/oder an seinen Prinzipien rumstutzt. In welchem Ausmaß man das tun muss, hängt davon ab, wie gut man bei der Wahl abgeschnitten hat. Und natürlich, wie dringend man regieren möchte.
Zu erwarten, dass jede Partei -insbesondere die kleineren- alles durchsetzt, was sie vor der Wahl angekündigt hat bzw. wofür sie steht, ist reichlich naiv.
Wenn man will, dass sie „prinzipientreuer“ ist, muss man dafür sorgen, dass sie mehr Stimmen bekommt.
* Wenn bei der Wahl nicht alles falsch gelaufen ist, natürlich. Oder falls man in Bayern ist. Allerdings ist mir der Unterschied da nicht unbedingt ersichtlich.
September 23rd, 2009 at 10:38
Das mit Bayern hab ich jetzt mal überlesen. 😛
Obwohl ich mit dieser CSU-Treue da unten auch nicht zurecht komme. Da wird zu 90% das gewählt, was immer gewählt wurde, egal, was sie machen. Zitat meiner Mutter: „Ja, ich weiß ja, dass man die eigentlich nicht wählen darf weil die so viel Mist machen. Aber trotzdem…“. Naja.
Zum Thema Prinzipientreue: Theoretisch gebe ich dir Recht. Wenn die kleinen Parteien nicht Abstriche machen und sich auch mal nach der großen Koalitionspartei richten müssen, um überhaupt etwas bewirken zu können. Allerdings haben die Kleinen die letzten Jahre oft so konsequent gegen ihre eigenen Richtlinien gestimmt, dass es nicht mehr schön ist. Was aber immer noch kein Grund ist, nicht eine der kleinen zu wählen. Auch wenn sie sehr oft dem Willen der Großen nachgeben bringen sie doch immer mal wieder einen ihrer Vorschläge durch. Ist wenig, aber besser als nichts. Ausserdem: Wenn mehr die „Kleinen“ wählen und weniger die „Großen“, könnten irgendwann auch mal die Kleinen groß werden und dann besser Ihren Weg durchsetzen. Aber dann kommt wieder das Totschlagargument: „Was kann ich da schon mit einer Stimme ausrichten“.
September 23rd, 2009 at 10:50
Dass das nicht schön ist, habe ich auch nicht bestritten. Aber das kann wirklich nur durch einen höheren Stimmenanteil verändert werden.
Über das Totschlagargument braucht man nicht viele Worte verlieren.
Nur eines: „Selbsttötungsargument“.
September 23rd, 2009 at 12:21
Hi Moritz,
da melde ich Widerspruch an.
Hauptaufgabe von Parteien ist aus meiner Sicht nicht schlicht zu „regieren“. Es kommt darauf an, die Politik zu verändern. Die Grünen und aktuell auch die Linke zeigen, dass man das durch eine starke Oppositionspräsenz zum Teil wirkungsvoller machen kann, als durch eine Regierungsbeteiligung. Die Grünen haben beispielsweise durch ihr Aufkommen in den 80er Jahren Ökologie und Friedenspolitik wieder auf die Tagesordnung gebracht und so die Politik und die anderen Parteien mehr verändert als in ihrer Regierungszeit. Das ist auch reale Veränderung, die man nicht gering schätzen sollte. Es ist mir zum Teil sogar lieber als eine Regierungsbeteiligung, die eigene Prinzipien verrät. So verhielt es sich beispielsweise als die Grünen 1999 wenige Wochen nach der Regierungsübernahme den ersten deutschen Kriegseinsatz (Kosovo) mitgetragen haben. Dazu mag man stehen wie man will, für eine Friedenspartei war das aus meiner Sicht aber der GAU.
Aber das Hauptproblem scheint mir ein strukturelles zu sein, dass auch in deinem Artikel zum Ausdruck kommt. Anders als in den USA wählen „wir“ nicht eine Regierung. Deutschland ist letztlich ein parlamentszentriertes System. Leider hat sich diese Parlamentszentrierung in der Realität in eine Regierungszentrierung gewandelt. Dem entspricht ein Denken in starren Koalitionen. Das ist aus meiner Sicht eines der großen politischen Probleme aktuell. Demokratie lebt von pluralen Ansätzen. Dem widerspricht es, wenn sich feste Regierungskonstellationen zusammen finden und sie die Kompromisssuche immer nur regierungsintern organisieren. Dann müssen Parteien häufig Kompromisse schließen, die ihrem Selbstverständnis zuwiderlaufen (Gesundheitsfonds aktuell). Währenddessen sitzen Oppositionsabgeordnete am Katzentisch ohne die Chance zu haben, einen direkten politischen Erfolg zu erzielen. Selbst wenn ein Grüner, Linker oder Liberaler aktuell die Idee hätte, wie man Weltfrieden und die Abschaffung des WElthungers mit nur einem Antrag im Bundestag beschliessen könnte, hätte der Anträge keine Chance, da er von der Opposition kommt. Diese Erstarrung lähmt die Demokratie und nimmt den Parteien Profil. Gutes Beispiel ist der Mindestlohn. Die SPD sammelt hierfür Samstags Unterschriften, „muss“ ihn aus Koalitionsgründen aber Montags im Bundestag ablehnen.
Mein Vorschlag ist: Mut zu wechselnden Mehrheiten, die sich sachorientiert zusammenfinden. Warum nicht einmal eine Mehrheit von CDU, Grünen und LINKEN in Sachen Gentechnik. Aber warum nicht eine Mehrheit von SPD, Grünen und LINKEN in Sachen Mindestlohnt. Warum nicht eine Mehrheit von CDU und SPD in Fragen der Außenpolitik. Das würde den Fokus auf die Inhalte legen und von der meist auch ins persönliche (Haarfarbe, Ehepartner, Frisur der Kanzlerin etc.) gehenden Regierungszentriertheit ablenken. Den Parteien wäre damit auch der Freiraum gegeben Profil zu wahren und dennoch Kompromisse zu schließen.
Außerdem würden Bundestagsdebatten endlich wieder spannend. Ich würde mir das gerne wieder anschauen, wenn nicht bereits zu Beginn der Debatte für jeden klar wäre, wie die Sache ausgeht. Denn es kommt im Bundestag ja nicht auf den Inhalt an, sondern auf den Absender (Opposition oder Regierung).
Soweit mein ausführlicher Senf kurz vor dem Wahlsonntag! Mehr zu meiner Position auch hier: http://wp.me/pwyuu-7Y
Viele Grüße,
Michael
September 23rd, 2009 at 13:24
Hi Michael,
ich hab erwartet, dass du etwas dazu schreiben würdest. 🙂
Zuallererst muss ich dir in deinem ersten Satz widersprechen: was du schreibst, ist kein Widerspruch zu dem, was ich gesagt habe.
Ich sagte nicht, dass die Hauptaufgabe einer Partei ist, zu regieren, sondern das Hauptziel. Kleiner, aber bedeutender Unterschied.
Außerdem sagte ich, dass der „Verrat“ der Prinzipien/Versprechen (u.a.) davon abhängig ist, wie sehr man regieren möchte. Manche Parteien wählen da halt lieber die Opposition. Ob das gut ist oder schlecht, habe ich nicht erwähnt (es ist gut).
Man kann durch eine starke und aktive Opposition auch einiges bewirken, das ist richtig. In einer Regierung ist es dennoch mehr.
Das ist aber nur eine kleine Anmerkung.
Denn ansonsten stimme ich dir voll und ganz zu. Das Koalitionssystem halte ich für entwicklungshemmend, und insbesondere mit einer großen Koalition für nahezu antidemokratisch. Da wird koalitionsintern verhandelt, dann fraktionsintern abgestimmt, und nachher mit überwältigender Mehrheit einstimmig beschlossen. Die Opposition ist dabei nur Statist. Das bedeutet überspitzt, dass 27,5% der Wählerschaft einfach ignoriert wird.
Wie du sagtest: auf den Absender kommt es an.
Oppositionsparteien können sich in Debatten bestenfalls für zukünftige Wähler profilieren, ernsthaft Einfluss auf Tagespolitik nehmen kann sie nicht.
September 23rd, 2009 at 13:44
Kurzer Nachtrag:
Ich denke, man kann unsere Argumente in etwa so zusammenfassen:
Vollständige Prizipentreue bei gleichzeitiger ernsthafter Mitgestaltung der Politik ist in unserem momentanen System nahezu unmöglich.
September 23rd, 2009 at 17:59
Hi Moritz,
ich glaube, wie sind da eng beeinander. Allerdings sehe ich strukturell wenig bis keine Unterschiede bei einer großen Koalition oder einer kleinen. AUch unter Rot-Grün oder Schwarz-Gelb (oder SChwarz-Grün in HH bzw. Rot-Rot in Berlin) werden Oppositionsanträge prinzipiell abgelehnt. Das scheint mir ein strukturelles Problem zu sein und nicht das der Größe der Mehrheit einer Regierungskonstellation.
Aber ich stimme dir sonst zu. Insbesondere auch, wenn du den Fokus auf die Notwendigkeit von Kompromissen legst. Diese einzugehen ist kein AUsdruck des Versagens oder fehlender Prinzipientreue sondern i.d.R. Ausdruck ihrer Stärke oder Schwäche. Wobei wir mit dem Apell für offene Mehrheitsfindungen einen Weg beschreiben, der den Parteien wieder mehr Spielraum bietet, sachorientierte Kompromisse zu schließen und sich nicht nur hinter dem Regierungs- oder Koalitionsdogma zu verstecken.
Ich hoffe, dass ein solches Denken in Deutschland endlich mal stärker wird. Leider sehe ich da bei allen Parteien wenig Chancen. Seit Hessen/Ypsilanti dürfte jeder Versuch der Lockerung starrer Koalitionen mit Chaos und Instabilität verbunden werden.
In Bonn hoffe ich im neuen Rat aber auf etwas mehr Bewegung und Spielraum. Die unübersichtlichen Mehrheitsverhältnisse könnten hier helfen, wenn es nicht Schwarz-Grün gibt.
Viele Grüße und lass uns das mal bei einem Bierchen vertiefen! 🙂
Michael