Ich bin gerade von einer Dienstreise nach Belgrad zurück. Recht erfolgreich dazu; ich bin mit lediglich einer Präsentation und einem Satz Visitenkarten im Gepäck hingeflogen und komme mit ein paar Projektmöglichkeiten und einem Haufen geschäftlicher und privater Kontakte zurück. Was genau Sinn und Zweck dieser Reise war.

Für mich das erste Mal, dass ich in Osteuropa im Allgemeinen und auf dem Balkan im Speziellen war. Und es war durchaus fabulös 😉
 
Es ist immer wieder ein Abenteuer, in ein Land zu reisen, von dessen Sprache man keine drei Wörter kennt, und bei dem bei einem Großteil der Bevölkerung davon auszugehen ist, dass er des Englischen nicht im geringsten mächtig ist.
SchildZum Glück kann ich einigermaßen kyrillisch lesen (eine Nachwirkung des Mongolei-Aufenthaltes), denn obwohl in Serbien sowohl das serbisch-lateinische als auch das kyrillische Alphabet verwendet werden, trifft man immer wieder auf Beschriftungen und Schilder die lediglich eines von beidem verwenden. Es gibt auch sehr viele Worte im serbischen*, die im Deutschen gleich oder sehr ähnlich sind. Pošta zum Beispiel ist die Post. Überraschenderweise. Oder Šnicla für Schnitzel. Mit ein bisschen Sprachgefühl kommt man schon einigermassen durch.

Ich glaub, ich bin noch nie so unvollständig vorbereitet auf eine Reise gefahren (was auf einen gewisse Stressigkeit im Vorfeld zurückzuführen sein dürfte). Ich hab mir z.B. zwar rausgesucht, mit welchem Bus ich vom Flughafen nach Belgrad komme, aber völlig vergessen, mir das auch mal auszudrucken; von der Haltestelle in der Stadt mal ganz zu schweigen.
Letzteres wurde mir dann im Bus (einen nach Belgrad zu finden war nicht schwer) auch mal bewusst. Auch, dass ich keine Karte hatte. Der Kerl in der Sitzreihe vor mir, der grad auf deutsch jemanden am Telefon erzählte, dass sein Gepäck nicht mit ihm angekommen sei, allerdings schon. Ich hab ihn dann mal gefragt, ob ich mal einen Blick in die Karte werfen könne. SchildWir kamen ins Gespräch, und es stellte sich heraus, dass er auch a) allein auf Dienstreise war und b) im gleichen Hotel nächtigte. Und da das schlimme am allein-auf-Dienstreise sein ist, dass man üblicherweise alleine dinieren muss (eine wirklich ätzend langweilige Sache), haben wir uns auch mal direkt darauf verständigt, gemeinsam auf Nahrungssuche zu gehen, sobald das Monstergewitter vorbei ist, das just in dem Moment losbrach, in dem wir das Hotel betraten.
Das Hotel (sehr zu empfehlen im Übrigen) liegt direkt in der Belgrader Fußgängerzone (Obiilićev Venac, 1 Minute von der Klez Mihailova ulica entfernt) in der sehr schönen und gemütlichen Altstadt (Stari Grad), voll mit Häusern aus Schildder Jahrhundertwende (der letzten), kaum vernarbt von Sowjetarchitektur. Praktisch ist auch, dass anscheinend jeder in Belgrad das Hotel kennt. Warum, sollte ich später rausfinden.
Wir sind nach einem kurzen Schlendern durch die Stadt in einem netten Restaurant bzw. dessen Außenterrasse gelandet. Einem Italienischen Restaurant, wie uns die (rein serbische) Karte verriet, nachdem man mal rausgekriegt hatte, was da steht. In Serbien zu sein und italienisch zu essen geht natürlich mal gar nicht, also hab ich das gemacht, was man auf jeden Fall machen sollte, wenn man sich im ehem. Jugoslawien befindet: eines der besten Steaks meines Lebens gegessen.
Danach gings wieder ab ins Hotel; Reisen ist ja auch anstrengend. Außerdem gab es Berichte zu korrigieren und meinen Vortrag für den nächsten Tag nochmal durchzugehen.

Am nächsten Tag war dann erst einmal das angesagt, wofür ich eigentlich in Belgrad war: Früh aufstehen, in Anzug schmeißen und am Workshop teilnehmen.
Das wichtigste an solchen Workshops und Konferenzen sind immer die Kaffeepausen, weil man da erst richtig miteinander in ungezwungener Atmosphäre ins Gespräch kommen kann, anstatt stundenlang schweigend Präsentationen zu lauschen. Bei den Kaffeepausen ergibt sich natürlich ähnlich wie beim Dinieren auch das ich-bin-allein-hier-Problem. Man steht rum und kennt niemanden; es ist eher langweilig. Allerdings gibt es immer ein paar offensichtliche Leidensgenossen, die genauso wie bestellt und nicht abgeholt in der Gegend rumstehen und mit denen man sich verbünden kann. Über irgendwas kommt man immer ins Gespräch. Und wenn es ein „Is this your first time to Belgrade?“ ist. In späteren Pausen tut man sich dann wieder zusammen und kann zum Beispiel darüber reden, dass man soeben den schlechtesten Vortrag ever gesehen hat (oder würde man gerne; ist ja doch eher unziemlich). Wie da soeben geschehen.
Da war jemand, der seinen Text (oder waren es Stichworte? – ich bin mir da nicht sicher) komplett vom Blatt abgelesen hat, vollkommen unbetont und frei von überleitenden Sätzen; dazu noch ohne auch nur einmal vom Blatt aufzuschauen. Im Hintergrund lief dann eine PowerPoint-Präsentation, die anscheinend etwas mit dem „vorgetragenen“ Text zu tun hatte (was, konnte ich nicht genau sagen) in einem völlig anderen Tempo automatisch mit und war 10 Minuten vor dem Vortragenden fertig (er hat 7 Minuten von 15 überzogen). Die Blicke von sämtlichen Leuten schwankten zwischen tagträumender Leere und fassungslosem meint-der-das-jetzt-Ernst-Stirnrunzeln. Aber ich schweife ab.
Idealerweise gibt es in den Pausen, nachdem man den eigenen Vortrag gehalten hat, weniger Zeit mit Smalltalk zu füllen, weil man ständig von Leuten auf das eben vorgetragene angesprochen wird. Ich nennen sowas Visitenkartengespräche, weil man irgendwann im Laufe der Konversation seine Kärtchen austauscht. Ich bin viele davon losgeworden. 😉
Mit einem „Leidensgenossen“ lag ich ganz gut auf einer Wellenlänge. Ist immer ganz angenehm, wenn man einfach so ein fließenden Gespräch mit jemanden führen kann und nicht alle zwei Sätze eine kleinen Pause entsteht, weil man sich ein neues Thema ausdenken muss. Er war etwa in meinem Alter, wohnte in Belgrad und fragte, ob ich Lust hätte, abends vielleicht noch was zu unternehmen und das Belgrader Nachtleben kennen zu lernen. Wer mich kennt, weiß, dass ich natürlich abgelehnt habe, weil ich dann doch lieber nen ruhigen Abend im Hotel verbringe. Not.
Wir haben noch Telefonnummern ausgetauscht und dann war der erste Konferenztag auch schon vorbei.

SchildZurück am Hotel kam ich kurioserweise exakt gleichzeitig mit dem Kollegen vom Vortag an. Bei der Gelegenheit bot sich natürlich an, noch mal gemeinsam futtern zu gehen. Allerdings war es noch etwas früh; er wollte noch etwas auspannen und ich die Möglichkeit nutzen, mir Belgrad anzusehen. Also machten wir aus, beim anderen im Hotelzimmer einfach durchzuklingeln, falls man da ist und losgehen möchte.
Schild
Ich hab die Gelegenheit genutzt, mir erstmal die Innenstadt etwas genauer anzugucken und dann die Festung samt Kalemegdan unter die Lupe zu nehmen. Diese Festung, auf einer Anhöhe am Zusammenfluss von Save und Donau gelegen, ist einfach riesig. Inklusive der „Unterstadt“ etwa zwei Mal so groß wie Ehrenbreitstein. Man kann wirklich Ewigkeiten in der Festung rumlaufen; im Grunde ist das ein riesiger Park mit Mauern, Toren, Türmen und Brücken dazwischen. Und von oben hat man einen Wahnsinnsblick auf Novi Grad, die Neustadt, und die Savemündung mit der großen Kriegsinsel. Die Belgrader haben es zum Glück geschafft, die Mündung und das gegenüberliegenden Donauufer komplett grün zu halten, was das Ganze noch schöner macht. Leider war es ziemlich bedeckt, so dass die meisten Fotos, die ich gemacht hab, eher ungünstige bis langweilige Lichtverhältnisse haben. Aber daraus kann man ja auch was machen.

Novi Grad

SchildIch wollte auch noch runter ans Donauufer, um den Fluß mal aus der Nähe zu sehen (das is mir bisher verwehrt geblieben). SchildIch bin fröhlich der Karte gefolgt und um unteren Teil der Festung aus einem Tor getreten, um mich plötzlich in einem Gebiet wiederzufinden, bei dem offensichtlich nicht angedacht ist, dass sich Fußgänger da aufhalten. Schmaler Bürgersteig, Eisenbahnlinie und vorbeidonnernde LKW. Ich hätte an einer Stelle mich an einer Unterführung zum Fluß durchschlagen können, aber das war mir dann doch zu blöd (zumal das Gebiet auf der Karte dann ähnlich unschick anmutete). Also hab ich mich auf den Rückweg zum Hotel gemacht, in der Hoffnung, dass mein Essenskamerad noch da ist. Und -wie sollte es anderes sein- wir sind wieder gleichzeitig in der Lobby angekommen. Langsam wurde das Timing echt gruselig.
SchildWir sind dann auf Anraten der Belgrader auf der Konferenz ins Skadarlija, dem alten Bohéme-Viertel Belgrads gegangen, um dort zu futtern. Aus den vielen Restaurants dort haben wir uns dann eines ausgesucht, dass uns zusagte. Wie in fast allen Läden da kam irgendwann eine Truppe Musiker an und spielte klassische Balkan-Musik, sehr zu meinem Gefallen (in anderen Läden haben die SchildMusiker Dixieland-Songs gespielt. Hallo Kulturimperialismus). Das Essen war übrigens wieder vorzüglichst.

Zurück im Hotel hab ich dann erstmal Predrag (meinem Gesprächspartner vom Workshop) Kontakt aufgenommen und ne halbe Stunde später gings in Belgrader Nachtleben. Neben Predrag war noch seine Freundin Tamara dabei. Wir sind dann erstmal zu einer netten kleinen Bar am Rand vom Kalemegdan gefahren, um uns da mit einer weiteren Freundin namens Danjela zu treffen, und sind dann zum eigentlichen Ziel aufgebrochen: einer Bar auf einem alten Frachtkahn auf der Save. Ein verdammt geiles Konzept. Auf dem Oberdeck (Holzbohlenboden) kann man wie in ner normalen Bar sitzen, im Frachtraum tanzen, wenn man gerne möchte. Dazu gibt es sehr gute Musik nach genau meinem Geschmack (der sehr mit dem der anderen übereinstimmt). Für Bonner: man stelle sich ein schwimmendes Carpe an einem guten Abend vor. Nur mit ausnahmslos guter Musik.
Wenn sich jetzt jemand denkt: „Geile Sache, sowas bräuchten wir auch! Aber das kriegt man in Deutschland wohl niemals genehmigt.“ – In Serbien auch nicht. Das hält die Leute aber nicht davon ab, es trotzdem zu machen. Die Ordnungsbehörden sind da anscheinend nicht ganz so konsequent.
Irgendwann sind wir vom Oberdeck in den sich langsam füllenden Frachtraum aufgebrochen. Und lange geblieben. So gegen halb drei haben wir uns dann auf den Rückweg begeben. Im Auto musste mir dann nochmal serbische Musik präsentiert werden, und zwar Šaban Bajramović, ein „Gypsy musician“. Sehr nette, swingende Musik. Läuft grad bei mir 😉
Kurz vor meinem Hotel wurde ich dann abgesetzt, und damit war eine erste lange Nacht in Belgrad vorbei und sollte von sehr wenig Schlaf gefolgt werden.
 
Im Hotel lag mein Schlüssel schon an der Rezeption bereit. Ich war offensichtlich der letzte heimkehrende Gast.
 
 
So viel für heute. Rest dann morgen übermorgen am Montag am Dienstag am Mittwoch.
 
 
* bzw. kroatischen, bosnischen oder montenegrinischen. Ist bis auf Ausspracheeigenheiten alles das Gleiche, aber seit der Klopperei Mitte der 90er wird Wert auf eine Unterscheidung gelegt.