Ich finde die aktuelle Veröffentlichung von Wikileaks („cablegate„) nicht richtig, fast sogar schadhaft.
 
Bisher hatte ich von Wikileaks immer einen positiven Eindruck. Den Eindruck, dass sie nur dann Dokumente veröffentlichen, wenn deren Geheimhaltung einen Skandal oder ein großes Unrecht versteckt, wie zum Beispiel das Video vom Hubschrauberangriff im Irak oder die Sperrlisten für die geplante oder durchgeführte Netzzensur, die neben den propagierten (Kinder)porno-Seiten auch Seiten von Filesharern, politischen Gegnern und unliebsamen Blogs enthielten.
 
Die jetzt in fünf großen Medien (Spiegel, Guardian, New York Times, Le Monde, El Pais) veröffentlichten Botschaftsdepeschen hingegen sind nichts dergleichen. Es sind lediglich persönliche Einschätzungen der Botschaften ihrer jeweiligen Gastgeberländer. Es ist nichts skandalöses oder gar menschenrechtsbedrohendes dabei – im Grunde weiß jetzt nur die Welt, was die USA über sie denken und was sie ihr nicht ins Gesicht gesagt hätten.
Und an den Sachen, die in den Dokumenten stehen, finde ich auch nichts verwerfliches. Im Gegenteil – für die Arbeit eines Diplomaten ist es unabdingbar, dass man mit den eigenen Leuten offen und ehrlich reden kann, in aller Vertraulichkeit. Und ganz ehrlich: überraschend ist nichts von den Aussagen. Überhaupt nichts. Dass Westerwelle nicht der geborene Außenpolitiker ist, dass Angela Merkel nicht wirklich risikofreudig ist, dass unliebsame und grenzkompetente Politiker gerne mal in die EU abgeschoben werden, dass Erdogan die Türkei langsam aber sicher in den Islamismus führt, dass es um die Demokratie in Russland nicht so rosig bestellt ist, dass das iranische Atomprogramm ein Risiko ist, das sind alles Dinge, die mehr oder weniger allgemein bekannt sind. Ich würde sogar soweit gehen, die Analysekompetenz der Diplomaten in Frage zu stellen, wenn sie zu anderen Ergebnissen kommen würden.
 
Diese Dokumente sind zwar ganz interessant, haben für die Allgemeinheit aber keinerlei Mehrwert.
Sie sind aber peinlich für die USA und potentiell schädlich für die Arbeit ihrer Diplomaten. Denn es ist ein Unterschied, zu vermuten (oder auch nicht), dass der Gegenüber einen für inkompetent hält, oder es zu wissen.
 
Ich habe den Eindruck, dass diese Veröffentlichung lediglich dazu dient, den USA an den Karren zu fahren. Ein Racheakt, vielleicht.
Und das ist nicht das, was eine Organisation wie Wikileaks tun sollte. Nicht, wenn sie mehr als nur „Verräter“ sein wollen.