Auslese


NagelDer Sänger von Muff Potter hat ein Buch geschrieben, halb Roman, halb Autobiografie, in dem es um den Gegensatz zwischen dem Leben auf Tour und der Ödnis zuhause geht.
 
Die Handlung des „Tourteils“ findet innerhalb von vier Wochen statt, vom ersten bis zum letzten Tag einer Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Die ungenannte Band, um die es geht, hat durchaus Ähnlichkeiten mit der von mir sehr geschätzten Band das Autors, ist aber fiktiv. Der ebenso ungenannte Protagonist erzählt in der ersten Person.
Dieser Teil liest sich recht lustig; es geht halt um die Dinge, die man als Band während einer Tour erlebt und wie man sich nach ein paar Wochen auf engstem Raum auf die Nerven gehen kann.

Es waren hauptsächlich Studenten anwesend. Studenten, die aussahen wie Studenten und Studenten, die aussahen wie Studenten, die auf keinen Fall wie Studenten aussehen wollen.

Der „Heimatteil“ ist davon völlig unterschiedlich. Er bietet keine zusammenhängende Geschichte, sondern eher Momentaufnahmen und kleine Einblicke in den Alltag „zuhause“, offensichtlich verstreut über mehrere Jahre. Diese Unterschiedlichkeit wird nochmal dadurch betont, dass zum einen eine völlig andere Schriftart verwendet wird, zum anderen statt im Blocksatz linksbündig gedruckt ist. Vor allem aber, weil die Erzählperspektive auf einmal in die zweite Person wechselt.
Dieser Teil ist auch wesentlich weniger lustig zu lesen, die Grundstimmung ist eher negativ bis anstrengend.

Dann fängst du an, mit dir selbst zu reden. „Schnauze“, sagst du, wieder und wieder. Fernseher an, „Schnauze, Arschgeburt“, Fernseher aus. Du singst Melodien von bekannten Songs mit einem einzigen Wort nach: Schnauze. Schnauze Schnauze Schnauze.

Die beiden Teile folgen nicht aufeinander, sondern sind ineinander verwoben, wobei die Abschnitte des „Heimatteils“ meist zu gerade im „Tourteil“ gesagtem passen und wie Rückblenden wirken.
 
Insgesamt ein sehr gut lesbares, interessantes und teilweise lustiges Buch, insbesondere wenn man -wie ich- eine gewisse Musiknerdigkeit vorweisen kann.
Sehr zu empfehlen.

[Mir ist es zu blöd, mir jedesmal einen Titel für die Büchereinträge auszudenken, also werden sie in Zukunft immer den Titel des Buches tragen. Es sei denn, die Muse kommt vorbei und gibt mir einen langen Zungenkuss.]
 
 
Ohne lange Umschweife also: Sarah Kuttner – Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens

Kuttner Allein diesen Titel find ich schon super. Das Buch ist eine Sammlung von Kolumnen aus der SZ und dem Musikexpress. Die SZ-Kolumnen sind dabei so etwas wie ein Frage-Antwort-Spiel, wobei die Fragen vorher von Lesern per Email gestellt wurden und die Antworten mal ins Absurde abdriften und mal ernst gemeint sind, wobei der Übergang schonmal fließend gerät; während die Musikexpress-Kolumnen sich -wer hätte es gedacht?- um Populärmusik aus der Indie-Ecke drehen.

Zwischen allerlei mehr-oder-weniger-Belanglosigkeiten sind hin und wieder einige unterstützenswerte Ansichten sowie toll zitierfähige Sätze eingestreut. Mein Favorit:

Sushi ist okay, aber der LKW-Fahrer in mir versteht unter einer gehaltvollen Mahlzeit etwas, von dem Dampf aufsteigt mit Fleisch dran.

Nette Klolektüre, wenn man dem Stil der Madame Kuttner nicht abgeneigt ist. Und bevor jemand was sagt: Klolektüre deshalb, weil die einzelnen Kolumnen etwa die Länge einer Sitzung haben, und sich nicht gerade sowas wie ein Spannungsbogen durch das Buch zieht. Ist schließlich eine Kolumnensammlung und kein Roman.
Die Kolumen sind allerdings alle ziemlich tagesaktuell. Nur leider sind die Tage, um die es geht, es nicht mehr.

Die SZ-Kolumen (oder einen Teil davon) hab ich eben zufällig im Internet in einem Chat Forum entdeckt. Wer also mal reinlesen möchter: hier.

Wie gestern schon geschrieben, hab ich neuerdings einen ganzen Haufen Bücher, den es noch zu lesen gilt. Mit den Büchern, die ich von meinen Eltern und Schwestern entführt habe, denen, die ich zu Weihnachten bekommen habe, und denen, die ich letztens ertauscht hab, sollte das auf gute 40 kommen, die ich noch vor mir hab. Aber gut, das Jahr hat ja auch noch 41 Wochen. 😉
Und wenn ich schon so viel lesen werde, ist es eigentlich eine gute Idee, auch etwas über die gelesenen Bücher zu schreiben (so, wie ich das seit langem auch schon wieder für Musik tun will. Ähem.). Ich zumindest finde die Idee gut, und das muss reichen. Bin ja schließlich der Diktator hier*.
 


 
 

Feynman Den Anfang macht „Surely You’re Joking, Mr. Feynman“ (Adventures of a Curious Character), die Autobiographie von Richard P. Feynman**.
Feynman war ein amerikanischer Wissenschaftler, Physik-Professor, Nobelpreisträger und vor allem ein großartiger Geschichtenerzähler. Die Biographie is wirklich toll zu lesen, schon allein, weil dieser Mann zum einen ständig irgendwelchen Blödsinn gebaut hat (und sich zum Beispiel dran erinnern musste, dass er als frischgebackener Professor eine gewisse Würde an den Tag legen sollte und es deswegen eine schlechte Idee sein könnte, auf dem Sofa in der Unilobby zu nächtigen), zum anderen, weil er sehr viele verschiedene Dinge ausprobiert hat.
Dabei hat er eine sehr unterhaltsame Art, zu erzählen; voller Witz und Selbstironie, immer mit einer gewissen Portion Pragmatismus.

Im Buch erzählt er unter Anderem davon, wie er als Grad Student einen Vortrag halten sollte, und auf einmal Henry Norris Russell, John von Neumann, Wolfgang Pauli und Albert Einstein im Publikum saßen, wie er am Manhattanprojekt teilnahm und sich dort u.A. einen Ruf als Safeknacker erwarb, über seinen Aufenthalt ein Brasilien, bei dem er wichtiges Mitglied einer Sambatruppe wurde, einen erfolgreichen Abstecher in die Malerei,seine Trips nach Las Vegas (weil es da unglaublich billig ist, wenn man nicht spielt, und man ständig schöne Frauen um sich rum hat) und seine Experimente mit Halluzinationen im Floating-Tank.
Das letzte Kapitel des Buches ist seine Rede zu Cargo Cult Science, mein liebster Text von ihm, und der, über den ich überhaupt auf ihn gestoßen bin. Ein Text, den meiner Meinung nach jeder, der irgendwo im wissenschaftlichen Umfeld tätig ist, mal gelesen haben sollte.
Wichtigstes Zitat daraus:

The first principle is that you must not fool yourself — and you are the easiest person to fool. So you have to be very careful about that. After you’ve not fooled yourself, it’s easy not to fool other scientists. You just have to be honest in a conventional way after that.

 
Große Unterhaltung für jeden, der etwas für Wissenschaft übrig hat; insbesondere aber für solche, die eine gewisse Geekigkeit im mathematik- oder physikaffinenen Bereichen nicht ganz abstreiten können.
Anders ausgedrückt: wer über xkcd lachen kann, wird auch bei dem Buch auf seine Kosten kommen.

** Eigentlich stimmt das nicht, vor einem Monat hat Faust schon den Anfang gemacht. Aber wir wollen ja nicht kleinlich sein.

Ich habe vor nicht mehr ganz so Kurzem begonnen, den Faust zu lesen; einerseits weil ich den Willen habe, einige Klassiker, die mich während meiner Schulzeit erfolgreich gemieden haben, mal in meinen Bildungshorizont zu holen, andererseits weil ich ein Buch von Terry Pratchett hier liegen hatte, dass auf den Titel Faust Eric“ hört und ich mir dachte, dass der darin enthaltene Humor sich bestimmt wesentlich besser erschließe, wenn man eben jenen Durchgestrichenen vorher gesichtet hätte (ist nicht nötig, by the way).*
Der erste Teil vom Faust ist auch wirklich toll; kurzweilig und schlüssig. Besonders erfreut mich dabei als Sprachliebhaber, dass die Komplexität der Reimstruktur offensichtlich Bildungsstand und Charakter des jeweiligen Sprechers widerspiegelt. Ganz großes Kino.
Außerdem ist es beeindruckend zu sehen, wie viele Redensarten diesem Stück entstammen.

Aber der zweite Teil… (mehr …)

Was ich 2008 so gelesen habe:
 


 
Auffällig finde ich übrigens, dass die Buchrücken im englischsprachigen Raum andersrum bedruckt werden als in Deutschland. Meiner Meinung nach richtigrum, übrigens, da der Schriftzug dann normal lesbar ist, wenn es auf nem Tisch liegt (die Bücher im Bild liegen alle „auf dem Bauch“).
 
 
[Was oben fehlt, ist Gelb (im Original Vurt) von Jeff Noon, da ausgeliehen und bereits zurückgegeben. Allerdings ist das auch nicht erwähnens- bzw. empfehlenswert.]

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